Im Spotlight: Fabrizio Tentoni

Darf man vorstellen: Fabrizio Tentoni! Komponist der Musik zum Film Lebe lieber Italienisch. Wir haben es uns nicht nehmen lassen, mal die musikalische Biographie des 34-jährigen Italieners etwas näher zu beleuchten. Außerdem haben wir mit ihm ein sehr interessantes Interview geführt.

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F. Tentoni, 1981 geboren in Rom / Italien, Studium in Italien und Deutschland, aktueller Wohnort Berlin.

Fabrizio Tentoni wird 1981 in „der ewigen Stadt“ Rom in Italien geboren. Zu einer Zeit in der unter anderem Toto Cutugno und Gianna Nannini dafür sorgen, dass Italo Pop weiterhin als eigenes Genre besteht, entdeckt Tentoni seine Begeisterung für die Musik. Es bleibt allerdings nicht nur beim bloßen Hörgenuss, vielmehr interessieren ihn die vielfältigen Strukturen und Farben in der Musik. Wie ist sie aufgebaut und was ist ihre Sprache? Schon in der frühen Kindheit entwickelt der junge Italiener eine Faszination für Noten. Im Interview verrät er uns, dass diese Fixierung sogar schon beginnt, als er Noten noch gar nicht lesen kann. Eine Laufbahn als Komponist schien also schon vorgezeichnet. Mit dem Background eines kollektiv-musikalischen Erbes wie das Italiens, ist Rom dann auch eine gute Adresse um mit der Musikausbildung zu beginnen.

Die startete bei Tentoni im Alter von 12 Jahren mit Unterricht bei der Musikpädagogin und Klavierspielerin Alessandra Manti, bei der er für die nächsten Jahre sein Instrument, das Piano erlernt. Nun ausgestattet mit dem Grundhandwerkszeug eines jeden klassischen Komponisten, beginnt Tentoni zehn Jahre später, mit 22 Jahren ein Kompositionsstudium, für das er sich am Konservatorium S.Cecilia in Rom einschreibt. Nach drei Jahren Grundstudium folgen dann 2007 der Bachelor-Studiengang im Hauptfach Klavier, dass er mit Diplom abschließt. In seiner akademischen Laufbahn macht der angehende Komponist, dann auch einen Abstecher an die berliner Hochschule für Musik Hanns Eisler. Zwischen 2008 und 2012 wechselt er an die Hochschule für Film und Fernsehen Konrad Wolf in Potsdam-Babelsberg, um 2009 zwischenzeitlich an die Accademia chigiana in Siena nach Italien in die Masterclass für Filmmusik von Oscar-Gewinner Luis Bacalov zurückzukehren.

Zu dieser Zeit sitzt Tentoni auch schon an einigen Projekten neben dem Studium. So absolviert und erarbeitet er diverse Aufführung und Auftritte als Pianist und Komponist. Einer seiner ersten größeren Opernarbeiten beginnt Tentoni dann 2010 mit 29 Jahren. Es ist die La Traviata exit, in Berlin aufgeführt. Es ist auch das gleiche Jahr wo er den Gitarristen Dave Bennett kennenlernt, mit dem er daraufhin in der Band Erik and Me spielt. Der Sänger und Namensgeber dieser Band ist übrigens Erik Lautenschläger, der unter anderem mit Nora Tschirner zusammen die Indie-Band Prag bildet. Über Bennett sagt Tentoni: „Mit Dave Bennett sind wir eine Familie, da ich mit der Schwester seiner Frau zusammen bin. Und Dave ist seit dem mein Stammgitarrist. Er hat all die schönen Gitarren bei Lebe lieber Italienisch gespielt. Vetternwirtschaft – aber er ist ein großer Gitarrist, und konnte mit seinem kanadischen Geschmack die traditionellen italienischen Rhythmen spielen.“

Nach seiner umfangreichen Ausbildung widmet sich Tentoni dann auch voll und ganz der Filmmusik, Theater- und Opernmusiken. 2013 hat er die großartige Gelegenheit mit dem Theaterkomponisten Ingo Günther die abgedrehte LSD-Operette Frau Luna von Herbert Fritsch zu begleiten. Tentoni: „Für mich ist es eine reine Freude und Ehre für diese Erfahrung, mit einer der innovativsten Regisseur- und Komponistenpaare in Deutschland arbeiten zu können.“ Während des Studiums an der Filmhochschule in Babelsberg lernt er dann auch die israelische Regisseurin Esti Amrami kennen, mir der er mehrere Filme zusammen macht. Der letzte Film Anderswo, was auch gleichzeitig eine Abschlussarbeit wurde, gewann nun bei der Berlinale 2014 die Kategorie Perspektive neues deutsches Kino.

 

Herr Tentoni, warum sind Sie Komponist geworden? Sehen sie darin eine Art Berufung?

Ich war immer fasziniert von Noten. Als Kind habe ich leidenschaftlich gern über alle möglichen Hefte fünf Liniensysteme gemalt, um sie mit sinnlosen Noten und Musikzeichnen zu füllen. Später habe ich, neben meinem klassischen Musikunterricht entdeckt, dass ich sehr gerne am Klavier improvisiere. Irgendwann bin ich zu dem Schluss gekommen, dass ich diese zwei Leidenschaften kombinieren sollte…

Herr Tentoni, sie haben Klavier und Komposition an der Musikhochschule in Rom studiert. Später haben sie dann noch an der Hochschule für Musik Hans Eisler in Berlin studiert. Wie kam es dazu, dass sie sich entschieden haben ihre musikalische Ausbildung in Deutschland weiterzuführen?

Es war ein Zufall. Als ich 2006 Klavier in Rom studiert habe, gab es im Rahmen eines Austauschprogramms die Möglichkeit für ein Semester an einer anderen europäischen Universität zu studieren. Berlin und damit die Hans Eisler Hochschule war für mich der interessanteste Ort. Mich hat damals die Idee fasziniert, in der Stadt des besten Orchesters der Welt leben zu dürfen. Während dieses Austauschsemesters bin ich dann auf die HFF in Babelsberg aufmerksam geworden, wo man Filmmusik studieren kann. Genauer betrachtet, war es eine Kette von Zufällen…

Wie gehen Sie eine neue Komposition an? Was ist schwieriger eine Musik abzuschließen oder zu beginnen?

Am Anfang einer Arbeit liegt die Schwierigkeiten bei der Auswahl des Materials: Man muss sich sehr begrenzen und entscheiden welche musikalischen Bausteine man benutzt. Für Lebe lieber Italienisch habe ich mit der Titelmusik angefangen. So wie in einer klassischen Opernouverture wollte ich darin alle Themen des Films vorstellen. Für mich ist es in dieser ersten Phase sehr wichtig Musik zu spielen. Einfach ein Instrument in die Hand zu nehmen und zu schauen, was entsteht. Es kann ein Klavier, ein Synth, ein Hackbrett oder eine Gitarre sein. Egal wie ich das Instrument beherrsche, „it´s fun to play“ und ein essentieller Teil im musikalischen Entstehungsprozess. Eine Musik abzuschließen ist ebenso spannend – irgendwann gibt es den Moment, an dem man nichts mehr hinzuzufügen hat, das ist toll. Bis ich diesen Moment erreicht habe, dauert es jedoch einige Zeit…

Wo holen sie sich Inspiration für ihre Arbeit?

Meistens versuche ich etwas Ungewöhnliches zu machen. Ich höre gezielt vertraute Musik, und Musik die mir stilistisch fremd ist. Ich liebe es, Sachen auf verschiedene ungewöhnlich angolature zu betrachten. Am Anfang mag ich das Gefühl, viele Möglichkeiten zu kombinieren und nicht zu wissen wo die Reise hinführt. Alles ist dann noch möglich und aus diesem Moment geistiger Freiheit entsteht dann die Kreativität.

Mit Il Ritorno gibt es auf dem Soundtrack neben dem klassischen Score, ja auch einen
richtigen Song. Hans Zimmer hat mal gesagt, dass ihn ein Popsong von 3 Minuten in seiner Kreativität einschränkt. Wie ist es bei Ihnen? Komponieren Sie auch klassische Songs oder sind solche Produktionen eher die Ausnahme?

Ich musste in der letzten Zeit viele Songs für für meine Soundtracks schreiben. Am Anfang war es sehr ungewöhnlich, aber ich sehe darin im Gegensatz zu Hans Zimmer eine tolle Gelegenheit etwas für mich Ungewöhnliches zu machen. Ich musste zum Beispiel für den kommenden Film von Stefan Butzmüllen Zwei Shanties auf Deutsch produzieren; solche Sachen machen mir einfach Spaß. Für den Song Come Acqua für Lebe lieber Italienisch war ich nicht der einzige Autor. Da
habe ich mehr als „Regisseur“ des Songs fungiert und die Kreativität von verschiedenen Gewerken koordiniert. Mit Thomas Mävers und Erik Lautenschläger, zwei großartigen Songwritern der Band PRAG, haben wir den Song geschrieben und arrangiert. Silvio Talamo, Sänger aus Neapel, hat einen wunderbaren Text und seinen Gesang dazu beigetragen. Die Produktion wurde schließlich mit zwei meiner alten Schulfreunde aus Rom gemacht: Filippo Schininá hat das typische Tamburin aus Salento gespielt, und Chiara Calderale hat die Background Vocals gesungen. Diese Idee, Indie- mit klassischem italienischen Songwriting zu kombinieren war ein großes Risiko in der engen Produktionszeit, aber dadurch hat der Song einen sehr besonderen Charakter: er ist weder ganz typisch Italienisch, noch Deutsch. Er ist aber beides gleichzeitig, also dann doch sehr gelungen;-)

Herr Tentoni, einige Komponisten sind ja wahre Preisjäger, haben sie es auch darauf
ausgelegt für ihre Arbeit einmal ausgezeichnet zu werden? Bedeuten Ihnen Auszeichnungen überhaupt etwas und glauben sie dass ein Preis etwas über die Qualität der Arbeit aussagen kann?

Ja, aber nur für dotierte Preise….Scherz beiseite. Ich glaube, ein Preis für die Kunst muss kein Widerspruch sein. Wettbewerbe sind meiner Meinung nach eine gute Gelegenheit, um unsere Arbeit zu schätzen und zu honorieren, sie sind aber nicht das Hauptkriterium für die künstlerische Arbeit.

Was macht für sie eine gute Filmmusik aus? Welche Komponisten und Filmmusiken sind ihre Vorbilder und Inspirationsquellen?

Eine gute Filmmusik erzählt mir etwas, das ich nicht sehen kann und berührt dabei die Seele. Und sie ist immer ehrlich. Ich liebe die letzte Szene von Cinema Paradiso, weil die Musik von Moricone mir etwas über die Vergangenheit von Salvatore erzählt und dabei starke Emotionen freilegt. Ebenso liebe ich den Badalamentis Score für Twin Peaks, weil ich mich die ganze Zeit über frage: Wo bin ich überhaupt? Bin ich im flachen Traum gelandet oder was? solche surrealistische absurde Musiken liebe ich, und kann nicht satt davon werden…

Lebe lieber italienisch, ist ja eher leichte Kost. Gibt es zwischen Slapstick oder Arthouse Unterschiede beim Arbeitsaufwand bzw. Schwierigkeitsgrad?

Es gibt für mich keinen Unterschied im Aufwand oder Schwierigkeitsgrad. Der Unterschied liegt im Stil und in den Zielen der Musik . Mit Lebe lieber Italienisch wollte ich direkt sein, um die die Handlung begleitenden Emotionen (die richtige Seiten) hervorzuheben. Das ist tatsächlich gar nicht so einfach, wenn man keine billigen Klischees bedienen will. Man muss da an seiner eigenen Ehrlichkeit arbeiten, und das ist nicht weniger Arbeit.

Herr Tentoni, Deutschland ist der drittgrößte Musikmarkt. Trotzdem wird der Wert der
Musik immer weniger geschätzt, was sich z.B. bei den Hörgewohnheiten der jüngeren
Generationen zeigt. Was ist Musik in Italien Wert?

Bezüglich der Hörgewohnheiten ist die Situation in Italien derzeit viel dramatischer, als in Deutschland. Trotz der vielen musikalischen Talenten in alle Genres der Musik und der enormen Tradition, sowohl in der E-Musik als auch der U-Musik, ist der Geschmack der neuen Generation in Italien stark von Reality Shows wie X-Faktor geprägt. Die Kultur bei uns stirbt aus und zwar nicht langsam; wenn wir nicht unsere Vergangenheit und ihre Schönheit als Vorbild hätten, wäre es nicht mehr möglich, noch einige exzellente Künstler zu haben. Ich denke an Paolo Sorrentino oder Vinicio Capossela, um meine liebsten zu nennen. Diese Situation ist ein unglaublich traurig und durch die Politik der letzte Jahrzehnten entstanden. In Deutschland ist die Situation im Vergleich wesentlich besser, auch wenn man sicherlich noch einiges optimieren könnte – Deutschland schätz seine Kultur, die zeitgenössische Kunst und insbesondere die Musik.

Was sind Ihre zukünftigen Projekte?

Derzeit arbeite ich an Orchestrationen für die zweite Platte von Prag und der Musik für einen Animationsfilm von Bella Szenerkenji.

Wenn sie jetzt deutsche mit italienischer Musik vergleichen müssten, wie würden Sie das beschreiben?

Die deutsche Musik ist viel komplexer, aber ist etwas ängstlich wenn es um Gänsehaut geht. Italienische Musik ist viel direkter, einfacher , weil sie muss sehr schnell an die Emotionalität greifen und keine Umweg machen.

Ich bedanke mich für das Interview, Herr Tentoni!

Listen to Lebe lieber italienisch

Fakten zu Fabrizio Tentoni

Filmografie

„Anderswo“ (Kinofilm) Regie: Esti Amrami (Dirk Manthey-HFF Potsdam und RBB 2014) http://www.anderswo-film.com
„Lichtes Meer“ (Kinofilm) Regie: Stefan Butzmüllen (Salzgeber 2014)
„Die Rückkehr/Il ritorno“ (Fernsehfilm, ZDF-RAI, Regie Olaf Kreinsen 2014)
„Little Thirteen“ (Kinofilm) Regie: Christian Klandt (X-Film 2012)
„Sleepless Knight“ (Kinofilm-Additional Song) Regie: Stefan Butzmüllen (Salzgeber 2012)
„Filmfestival Cottbus – Der Zug“ (Trailer) Regie: Daniel Abma (HFF 2011)
„Making of Nachgestalt“ ” (Zeichentrickfilm) Regie: Franziska Bachmayer (HFF 2011)
„Zwei Männer und ein Tisch“ (Kurzfilm) Regie: Esti Amrami (HFF 2011)
„Jetzt aber Ballett“ (Spielfilm) Regie: Isabel Suba (RBB 2011)
„Du siehst so aus wie ich mich fühle“ (Kurzfilm) Regie: Marcus Heep (HFF 2010)
„Solamente mio“, (Kurzfiln) Regie: Esti Amrami (HFF 2010)
„Jugend denkt um Welt“ (Image Film) Regie: Thomas Frick (Mafilm 2010)
„Opfer“ (Kurzfilm-Additional music) Regie: Johannes Leistner (HFF 2010)
„Märchendising“ Regie: Johanna Ickert, (HFF 2009)
„Planeten“ (Zeichentrickfilm) Regie: Manuela Buske (3SAT 2009)
„Das Versteck“, (Kurzfilm) Regie: Julia Piper (HFF 2009)
„Dicas“, (Imagefilm) Regie: Jan Wiese (2008)

Projekte
2014 22.01 Uraufführung der Oper von Herbert Fritsch „Ohne Titel Nr. 1“
2013 Synthesizersspieler bei „Frau Luna“, Regie: Herbert Fritsch, Volksbühne Berlin
2012 Orchestration und Klaviereinspielung für das Album „Debut“ von Prag (Erik Lautenschläger, Tom Krimi, Nora Tschirner) Tynska Records www.prag-musik.com
2011 Pianist und Keyboarder der indiepop Band Erik & Me www.erikandme.de, mit
deutschlandweite Auftritte
2011 Oper bearbeitung für „Madame Butterfly Mäglichkeiten“, Regie: Lotte Greschik, Saalbau
Neukölln, Berlin www.la-traviata-exit.de
2010 Oper bearbeitung für „La Traviata exit“, Regie: Lotte Greschik, Saalbau Neukölln, Berlin
www.la-traviata-exit.de
2009 Musik für die Videoperformance „Mise en boite“ , Regie von Joel Curtz, beim Blindspot Festival,
Studiosaal, Hans Eisler Berlin. Weitere Aufführungen beim Herbstklang Festival in Wien (2011)
2009 Installation „Dejá entendu“, Verona Risuona, Projektarbeit SACS, Verona
Seit 2007: Auftritte als Pianist mit verschiedene Ensemble für Neue Musik, u.A. Echo Ensemble und Klangzeitort

Links
http://www.berlinerfestspiele.de/de/aktuell/festivals/theatertreffen/tt14_programm/tt14_program
m_gesamt/tt14_veranstaltungsdetail_92638.php

http://www.berlinerfestspiele.de/de/aktuell/festivals/theatertreffen/tt14_programm/tt14_program
m_gesamt/tt14_veranstaltungsdetail_92638.php

Kontakt
mail@fabriziotentoni.com
www.fabriziotentoni.com

Text/Interview: L. Hennemann

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